Rana glaubte nicht an Allah. Und sie war überzeugt davon, dass auch Frauen ein Leben in Freiheit und Gleichberechtigung zusteht. Damit stand sie als Frau, die 1985 in Riad das Licht der Welt erblickt hatte, vor einem großen Problem. Vor einem lebensbedrohlichen Problem. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie in ihrer Heimat wegen ihrer unorthodoxen Ansichten über Religion, die Menschen und das Universum bedroht, verfolgt oder ermordet werden würde, möglicherweise sogar von ihrer eigenen Familie. Das Leben in Saudi-Arabien wurde für sie zunehmend zur Qual, so dass sie mehr und mehr vor die Wahl gestellt wurde: Suizid oder Flucht?
Rana entschied sich im Jahr 2015 für die Flucht. Sie scheiterte mehrfach bei dem Versuch, ein Schengenvisum zu bekommen. Die Schleusung mit dem Boot nach Griechenland gelang ihr beim dritten Versuch. Später sagte sie im Deutschlandfunk auf die Frage, woher sie ihre Kraft und ihren Mut nahm: „Ich hatte so lange so viel Angst, bis alles in mir zerbrochen ist. Jetzt habe ich keine Angst mehr. Vor nichts.“ Sie dachte, dass sie nur die lange und für sie als alleinreisende Frau extrem gefährliche Balkanroute überleben müsste, um in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben zu können. Schließlich ist Deutschland, wohin sie es mit viel Glück schaffte, ein friedliches und sicheres Land mit einer freiheitlichen Verfassung: Niemand darf hier wegen eines „Gedankenverbrechens“ – nichts anderes war ihr Abfall vom Glauben in den Augen der Islamisten – verurteilt werden.
Bedrohung in Deutschland
Doch als sich Rana in einer Flüchtlingsunterkunft in Köln wiederfand, wurde ihr klar, dass sich ihr Traum nicht erfüllt hatte. Denn die Gefahr, vor der sie geflohen war, war mit ihr gereist: in Gestalt anderer Flüchtlinge. Auch sie hatten gute Gründe, ihre Heimat zu verlassen, doch Weltanschauungsfreiheit und Freiheit von Religion war keiner davon. Viele Flüchtlinge, die Rana in Köln traf, waren strenggläubige Muslime. Und einige von ihnen hielten Apostasie für ein schlimmes, ja sogar für ein todeswürdiges Vergehen.
Rana stand unter Schock: Sie wurde in Deutschland von Islamisten bedroht – wie zuvor in Saudi-Arabien. Sie musste um ihr Leben fürchten – wie in Saudi-Arabien. „Ich hatte das Gefühl, Saudi-Arabien nie verlassen zu haben!“, brachte sie ihre Erfahrungen später auf den Punkt. Lange wusste sie keinen Rat. Dann erfuhr sie, dass die Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime (ZdE), Mina Ahadi, ebenfalls in Köln lebte. Rana nahm Kontakt zu ihr auf und durch Mina lernte sie einige Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) kennen. Diese konnten ihr wenig später eine sichere Unterkunft in Köln vermitteln.
Gründung der Säkularen Flüchtlingshilfe
Jetzt erst war sie frei. Sie hätte sich nun in ihrem neuen Leben einrichten und ihre neuen Freiheiten unbeschwert genießen können, doch ihr war schmerzlich bewusst, dass ihr eigenes Schicksal kein Einzelfall war. Daher nahm Rana all ihren Mut zusammen und brachte mithilfe des Zentralrats der Ex-Muslime und der gbs Köln ihre Geschichte in die Öffentlichkeit. Im Juni 2016 erschien ein erster großer Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Durch Ranas Engagement wurden weite Teile der deutschen Bevölkerung erstmals darauf aufmerksam, wie prekär die Lage für religionsfreie Flüchtlinge in Deutschland ist. Zudem war ihr Fall der letzte Anstoß dafür, ein Projekt in Angriff zu nehmen, über das in Kreisen der Ex-Muslime und der gbs schon lange diskutiert wurde, nämlich die Gründung einer Säkularen Flüchtlingshilfe.
Im Jahr 2017 gründete Ahmad mit weiteren Aktivisten aus der säkularen Szene die Säkulare Flüchtlingshilfe e.V. und ist seitdem im Vorstand.
Anfang 2018 veröffentlichte sie ihre Autobiografie Frauen dürfen hier nicht träumen: Mein Ausbruch aus Saudi-Arabien, mein Weg in die Freiheit. Das Buch stieg in die Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste auf. Rana sagt: „Nach meiner Abkehr vom Islam und meiner Flucht aus Saudi-Arabien nach Deutschland im Herbst 2015 habe ich gemerkt, dass die Öffentlichkeit leider noch immer ein falsches Bild von den Menschen hat, die aus islamischen Ländern fliehen. Viele von ihnen sind keineswegs strengreligiös, sondern haben – wie ich – eine besonders starke Abneigung gegen jede Form religiöser Bevormundung. Sie wollen einfach nur in Freiheit leben und ihren Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft leisten. Über das Leben dieser Menschen wollen wir aufklären und ihnen praktische Hilfe leisten. In Deutschland und vor Ort. Deshalb haben wir die Säkulare Flüchtlingshilfe gegründet.“