Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, ist im September 2019 von der BILD-Zeitung als eine von fünf Freiheitshelden geehrt worden. Die Säkulare Flüchtlingshilfe nahm dies zum Anlass, um mit Frau Ahadi über die veränderte Islamdebatte in Deutschland zu sprechen.
Säkulare Flüchtlingshilfe: Frau Ahadi, Sie sind ja dieses Jahr anlässlich der 100 Jahresfeier der BILD-Zeitung zusammen mit den Brüdern Klitschko, Joshua Wong und Raed al-Saleh als Kämpferin für die Freiheit geehrt worden. Das ist insofern signifikant, da ja Islamkritik früher mit dem Kampfbegriff „Islamophobie“ diffamiert wurde. Sie selbst wurden des Öfteren in die politisch rechte Ecke gestellt. Was hat sich verändert?
Mina Ahadi: Ich denke, dass es eine große Rolle spielt, dass momentan große Demonstrationen in Irak und Iran stattfinden, die sich gegen den politischen Islam wenden. Die Menschen in den sogenannten islamischen Ländern begehren auf und dies wird auch in Europa wahrgenommen. In meiner Heimat Iran gab es in den letzten zehn Jahren zweimal große Demonstrationen. Vor allem als Frauen gegen den Kopftuchzwang demonstriert haben, bemerkten dies auch die Menschenrechtsorganisationen in Deutschland. Wenn ich mich nun gegen das Kopftuch engagiere, so bestätigen eben diese Demonstrationen in den sogenannten islamischen Ländern meine Position hierzu. Inzwischen haben nun Millionen Menschen verstanden, dass es hierbei um Humanismus, Freiheit und Frauenrechte geht. Wer dies ignoriert oder bestreitet unterstützt rechtes Gedankengut. Ich kann nicht verstehen, wie man mit den Worten, dass dies ja zur jeweiligen Kultur gehöre, Steinigungen, Unterdrückung und Zwang zur Verschleierung hinnehmen kann. Deshalb muss man immer wieder auf diese fundamentalen Menschenrechtsverletzungen hinweisen. Kurz gesagt, es hat sich etwas wegen der Proteste in der sogenannten islamischen Welt geändert, auch weil viele mutige Frauen Gesicht gezeigt haben. Das hat uns sehr geholfen.
Säkulare Flüchtlingshilfe: Sie haben ja, wie auch in Ihrem neu aufgelegten und aktualisierten Buch „Ich habe abgeschworen“ mit linken Gruppierungen gegen das Mullah-Regime im Iran gekämpft. Ihr Mann ist als Kommunist hingerichtet worden. Man hätte also schon früher erkennen können, dass Sie nicht im rechten Spektrum zu verorten sind. Stattdessen mussten Sie sich sogar mit einem offenen Brief von der AfD distanzieren, um Ihre Position klarzumachen. Wieso hat es so lang gedauert, bis die Diffamierungen aufhörten?
Mina Ahadi: Ich denke, das Problem lag hauptsächlich an der deutschen und europäischen Politik. Diese haben lange mit den Islamverbänden zusammengearbeitet. Die Folge war, dass alle Migranten aus diesen Ländern das Etikett „Muslim“ bekommen haben. Die Folge war, dass die Menschenrechte nicht mehr als universal angesehen wurden, sondern von der Herkunft abhängig waren. Somit waren nun die Islamverbände die Ansprechpartner für Integration. Dass diese Strategie falsch ist, haben wir schon damals gesagt. Nun zeigt sich, dass wir die Situation richtig eingeschätzt hatten und es große Probleme bei den in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerungsgruppen gibt.
Das zweite Problem war die Haltung der Eliten in Europa, die eine sehr starke Gewichtung auf den Antiimperialismus legten. Was sie nicht verstanden haben war, dass sich die Zeiten geändert haben und der Islamismus nicht die Alternative zum Imperialismus darstellt, sondern es sich dabei um eine totalitäre Ideologie handelt, die die eigene Bevölkerung unterdrückt. Ein Beispiel dafür ist die Steinigung, die ich selbst im Iran erlebt habe. Als ich in Europa war, dachte ich, dass es einen Aufschrei geben würde, wenn man dies erführe. Als ich dann 1992 bis 1995 auf mehreren Frauenrechtskonferenzen war, war ich schockiert von den Reaktionen auf meine Appelle, Druck auf den Iran auszuüben, damit dies aufhört. Es wurde mir zu verstehen gegeben, dass man sich als Europäer nicht in fremde Kulturen einmischen kann und ich nicht so emotional sein solle. Diese Reaktionen halte ich für verrückt.
Offensichtlich gibt es in der Welt zwei Gruppen. Einmal die Machthaber, die ein sehr eigenes Verständnis der Welt haben und die normalen Bürger. Wir haben immer erfolgreich mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet. Dort versteht man, dass es sich bei Steinigung nicht um ein Kulturgut handelt. Politiker haben da andere, politische oder Wirtschaftliche, Interessen. Ich möchte besonders die Parteien Die Linke und die Grünen hervorheben, die hier, obwohl sie sich eigentlich für Menschenrechte in besonderer Weise einsetzen sollten, versagt haben. Sie konnten durch ihre multikulturelle, bzw. postmodernistische Brille nicht sehen, was ich mit dem Beispiel Steinigung kritisierte. Nämlich, dass es sich hierbei um massive Verletzung der Menschenrechte und Frauenrechte handelt und dass diese Menschenrechte verteidigt werden müssen. Und diese dürfen nicht deswegen gerechtfertigt werden, nur weil eine islamistische Regierung an der Macht ist.
Deswegen haben wir Probleme mit rechten Bewegungen. Diese nutzen das Thema, um gegen Ausländer zu hetzen. Daher haben Frauen, die z. B. aus Saudi-Arabien geflüchtet sind, ein weiteres Problem. Sie werden nun als Ausländer in Deutschland angefeindet. Ich wohne seit zwanzig Jahren in Köln und habe nun das erste Mal eine Demonstration erlebt, auf der offen ausländerfeindliche Parolen gerufen wurden. Es war eine Demonstration der AfD und es war sehr bedrohlich für mich. Diese Menschen hetzen gegen alle Ausländer, egal wo sie politisch stehen. Für sie bin ich auch nur eine Ausländerin. Dies ist das Klima, welches durch die lange Verdrängung der Probleme geschaffen wurde. Deshalb hatte ich schon lange auf die Gefahren, die von der AfD ausgehen hingewiesen und mich von ihrer Politik distanziert.
Das sind die drei Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Wir müssen uns vor Islamisten verstecken, wir bekommen keine Unterstützung aus der Politik und wir sind Ziel rechter Aggression.
Unser Ziel ist es, eine vernünftige Integrationspolitik zu betreiben. Für Frauenrechte, für LGBT-Rechte, für Kinderrechte – also für die universellen Menschenrechte. Auch kann es nicht sein, dass in muslimischen Kreisen einige Menschen Deutsche als schmutzige Schweine bezeichnen. Wir setzen uns auch stark gegen das Kinderkopftuch ein. Über diese Probleme reden wir weiterhin mit den politischen Parteien, vor allem den Grünen und der Partei Die Linke. Denn man muss die Probleme erkennen, um sie lösen zu können. Dies schwächt auch die AfD, die leider im Moment sehr viel Zulauf hat.
Säkulare Flüchtlingshilfe: Was wären konkrete Forderungen an die Grünen und die Partei Die Linke?
Mina Ahadi: Ich denke sie müssen mit den Organisationen wie der Säkularen Flüchtlingshilfe und dem Zentralrat der Ex-Muslime zusammenarbeiten. Da der Zentralrat der Ex-Muslime klare politische Positionen bezieht, wollte man bisher nicht mit uns kooperieren. Die Partei Die Linke lädt immer wieder Vertreter islamischer Organisationen ein, hat uns aber noch nie angefragt. Aber ich finde es sehr wichtig, dass auch diese Partei z. B. beim Kinderkopftuch klar Position bezieht. Ebenso sollte sie sich dafür einsetzen, dass Kinder keinen konfessionellen Unterricht in den Schulen bekommen. Auch sollten sie klar darstellen, dass nicht alle Geflüchteten die zu uns gekommen sind, gläubige Muslime sind. Ich habe selbst in meiner Nachbarschaft erlebt was passiert, wenn man die Integration den Islamverbänden überlässt. Dort wohnt eine Familie und die Mutter hatte kein Kopftuch, als sie hier ankamen. Erst trug sie einen Hijab und nun ist sie komplett verschleiert. Das finde ich beängstigend. Denn die Partei Die Linke und auch die Grünen müssen erkennen, dass wir es hier mit einem politischen Islam zu tun haben. Und wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die Menschen, die zu uns kommen, in Deutschland radikalisiert werden.
Meine konkreten Forderungen sind, dass die Zusammenarbeit mit Islamverbänden gestoppt werden muss. Stattdessen sollte mit Migrantenvereinen und -vertretungen kooperiert werden, die den progressiven Teil der Gesellschaft repräsentieren und sich für die universellen Menschenrecht einsetzen.
Säkulare Flüchtlingshilfe: Nun gibt es ja gerade in der arabischen Welt eine neue Welle an jungen Ex-MuslimInnen, die eine konsequente Trennung von Staat und Religion fordern. Was unterscheidet diese von den früheren Ex-MuslimInnen z. B. aus dem Iran?
Mina Ahadi: Ich denke es liegt daran, dass Menschen aus den sogenannten islamischen Ländern nun durch ihre Handys Zugang zur Welt haben. Das ermöglicht es ihnen, dass sie sich ohne Kontrolle der Polizei oder der Geheimdienste informieren. Junge Menschen in Mekka, Bagdad oder Teheran mögen dieselben Dinge wie die Menschen in Köln oder London. Ich halte diese neue Generation für besonders weltoffen. Sie ist nicht unbedingt politisch, denn viele haben einfach ein großes Bedürfnis ihr Leben genießen zu können. Wenn sie es nicht schaffen zu fliehen, treffen sie sich im Untergrund und versuchen dort ein freieres Leben zu führen. Oft leben die Menschen ganz anders im geheimen als es die Regierung vorgibt. Das sind die Menschen, die momentan in vielen arabischen Ländern auf die Straße gehen und demonstrieren. Ich halte das für eine große Chance. Diese jungen Leute haben genug von Hamas und Hisbollah. Sie möchten nicht mehr unterdrückt werden.
Säkulare Flüchtlingshilfe: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.