Die Geschichte von Mohammed, einem Atheisten aus dem Irak

Hammoki ist im Jahre 2015 aus dem Irak nach Deutschland geflohen und bekam 2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Wir haben ihn nach seiner Geschichte befragt.

Hammoki, aus welchen Gründen bist Du aus deinem Heimatland geflohen?

Da ich Atheist bin, war mein Leben in Gefahr. Ich musste damit rechnen, getötet zu werden.

Wie kam es dazu, dass du Atheist wurdest?

Ich stamme aus einer liberalen Familie, die zu einem alten Beduinenstamm gehört. Meine Eltern sind im Laufe der Zeit jedoch immer gläubiger geworden. Als Kind und Jugendlicher wurde ich gezwungen, die Moschee zu besuchen und den Heiligen Monat und den Ramadan einzuhalten. Dann habe ich begonnen, mich intensiver mit Glaubensfragen zu beschäftigen, und mir sind immer mehr kritische Fragen gekommen. Nach reiflicher Überlegung beschloss ich mit 18 Jahren, mich endgültig vom Islam abzuwenden. Die allgegenwärtige Gewalt, die Unfreiheit, die mangelnde Kritikfähigkeit, die Verquickung mit dem Staat, das Eheverständnis und die strengen Regeln ganz allgemein haben mich zutiefst abgeschreckt. Auch fand ich sowohl im Islam so als auch in allen anderen Religionen keine Antworten auf existenzielle Fragen. Für mich wurden Tatsachen, Realitäten und dieWissenschaft die Basis meines Denkens. Der religionskritische Dichter und Freidenker Abu l-Ala al-Ma`arri, der vor 1000 Jahren lebte, der Autor und Religionskritiker Abdullah al-Qasemi und der Sozialwissenschaftler Ali Al-Wardi wurden für mich zu Inspirationsquellen.

Wie wurde dein Atheismus entdeckt, wie entstand die Bedrohungssituation?

Zunächst einmal werden Personen wie ich im Irak nicht bedroht, sondern gleich getötet. Deswegen habe ich mich auch lange nicht geoutet. Ich war jedoch anonymes Mitglied von diversen religionskritischen und atheistischen Facebook-Gruppen. Ich wurde enttarnt und bekam eine Nachricht auf mein Smartphone unter meinem Klarnamen mit der Botschaft: “Wir wissen, wer du bist, wir wissen, wo du bist. Wir sind die Soldaten von Omar ibn Al-Qatab.“ Nach dem „Arabischen Frühling“ fanden in vielen Staaten des Nahen Ostens Demonstrationen gegen die repressiven Regimes statt, so auch im Irak. In den Jahren 2014/2015 habe ich regelmäßig freitags mit Gleichgesinnten an solchen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Bagdad teilgenommen. Wir forderten die Trennung von Religion und Staat, Religionsfreiheit und die Einhaltung der Menschenrechte . An diesen Demonstrationen nahmen verdeckt auch Mitglieder der berüchtigten Al Sadr Miliz teil. Dadurch wurden wir „Ungläubigen“ nochmals enttarnt, und in kurzer Zeit wurden etwa 30 Personen aus dem Umfeld der Demonstrationsteilnehmer getötet. Das alles versetzte mich in Todesangst.

Konnte deine Familie dir nicht helfen?

Ich will hier nicht alle Details offenbaren. Nur so viel: Nach der Drohung habe ich mich meiner Familie gegenüber offenbart und um Hilfe gebeten. Diese Hilfe wurde mir verwehrt. Im Gegenteil: Weil ich nicht zum Islam zurückkehren wollte, wurde ich von meiner Familie für vogelfrei erklärt, was bedeutet, dass mich jeder töten konnte.

Schließlich wollten mich einige Familienmitglieder selbst töten. Auch an staatliche Organe konnte ich mich nicht wenden. Das wäre auf das Gleiche herausgekommen. So blieb mir nur die schnelle Flucht.

Du bist über die Türkei, Griechenland, Serbien. Kroatien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geflohen. War Deutschland von Anfang an Dein Ziel?

Nein, ich wollte zunächst nur in ein säkulares Land. Durch Recherchen im Internet habe ich die Gesetze von Deutschland kennengelernt und mich so für Deutschland entschieden.

Wie ist es Dir in Deutschland ergangen? Hattest Du Probleme, die Flüchtlingseigenschaft zu erlangen?

Ich war zuerst für die Aufnahme 2 Wochen lang in Karlsruhe in einer Flüchtlingsunterkunft, wo ich meine Fingerabdrücke abgeben musste.

Dann kam ich in eine Unterkunft in Neckarsulm. In dieser Unterkunft hatte ich große Probleme mit den dort auch untergebrachten Muslimen, die mich ausgegrenzt und nach Strich und Faden schikaniert haben. Zu allem Überfluss sind auch noch meine Papiere verloren gegangen, so dass ich meine Fingerabdrücke in Sigmaringen nochmals abgeben musste.

Das hat für viel Wirbel gesorgt. Dann musste ich nochmal in eine andere Unterkunft umziehen. Ich habe einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling gestellt. Bei der Anhörung hatte ich keinen juristischen Beistand. Der Antrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Ich war glücklicherweise immer noch in Kontakt mit einer Atheistin aus dem Irak, der bekannten Aktivistin Worood Zuhair. Sie hat mich an die Säkulare Flüchtlingshilfe Deutschland in Köln vermittelt, von wo aus ich dann zur Regionalgruppe Stuttgart kam, an deren Treffen ich seither teilnehme und deren aktives Mitglied ich seither bin. Mit Unterstützung durch die Säkulare Flüchtlingshilfe Stuttgart und einem guten Rechtsbeistand habe ich gegen meine Ablehnung geklagt und Recht bekommen. In seiner Urteilsbegründung stellte der Richter fest, dass ich sowohl meinen Atheismus als auch die Gefahr, die mir im Irak droht glaubhaft machen konnte. Bei meiner Rückkehr müsse ich damit rechnen, von Familienmitgliedern ermordet zu werden, und staatlicher Schutz ist auch nicht gegeben. Daher sei die Ablehnung meines Antrags verfassungswidrig.

Du hattest im Irak einige Semester Jura studiert (auf Drängen DeinerFamilie) und als Frisör gearbeitet. Was sind Deine Pläne hier in Deutschland?

Ich hatte im Irak als Frisör ein Einkommen, von dem ich leben konnte.

Hier habe ich zuerst einmal Deutsch gelernt. Ich habe bis jetzt das Niveau B2 erreicht und arbeite an C1. Im Moment versuche ich, meine Abschlüsse aus dem Irak zu bekommen (Abiturzeugnis, Berufsausübungszertifikat), und dann werde ich entscheiden, ob ich studieren will oder eine Berufsausbildung mache.

Was gefällt Dir an Deutschland?

Ich finde es zuallererst gut, dass hier das Gesetz nicht nur auf dem Papier steht. Darüber hinaus kann ich in Deutschland frei sagen, was mir auf der Seele liegt, was ich denke und glaube.

Was vermisst Du aus Deiner Heimat?

Ich vermisse einige meiner früheren Freunde, die ich durch meine Flucht im Irak zurücklassen musste. Und natürlich die Orte, wo ich als Kind glücklich aufgewachsen bin.

Könntest Du Dir vorstellen, nochmal in den Irak zurückzukehren?

Es steht im Moment außer Frage, in den Irak zurückzukehren. Sollte sich das Land jedoch irgendwann einmal in einen säkularen, freiheitlichen und demokratischen Staat verwandeln, wäre dies eine Überlegung wert.

Welchen Rat würdest anderen Flüchtlingen hier in Deutschland geben?

Am wichtigsten ist es, die deutsche Sprache zu lernen, an einem Ziel zu arbeiten und die deutsche Kultur zu akzeptieren. Dann klappt es auch mit der Integration.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich aus meiner erreichten Position heraus weiterhin die Arbeit der Säkularen Flüchtlingshilfe unterstützen werde.

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Glück in der Zukunft.



Das Gespräch führten Marie-José Süss und Monika Schröder,
Säkulare Flüchtlingshilfe Stuttgart