Durch den Lockdown mussten wir hier in Stuttgart unsere Aktivitäten in der Säkularen Flüchtlingshilfe leider unterbrechen. In Kooperation mit der lpb hatten wir die Buchpräsentation „Frauen dürfen hier nicht träumen – mein Ausbruch aus Saudi-Arabien“ geplant. Die Präsentation sollte mit der Autorin Rana Ahmad, Mitgründerin der Säkularen Flüchtlingshilfe e.V. gemeinsam mit unserer Vertretung hier in Stuttgart durchgeführt werden. Wir waren natürlich enttäuscht, dass das Projekt nun auf 2021 verschoben werden musste. Zwar hielten wir zu dieser Zeit über WhatsApp zu den einzelnen Mitgliedern Kontakt und haben auch eine Videokonferenz durchgeführt, uns war aber klar, dass die Gruppe den Wunsch hatte sich wieder „analog“ zu treffen. Da die Gruppe sich von Bad-Wimpfen bis Esslingen über Ludwigsburg und Stuttgart verteilt, ist das Bedürfnis sich zu treffen groß.
Adel, ein Atheist aus dem Irak, wollte gerne etwas unternehmen, da er war kurz vor dem Lockdown mit Freunden in Heidelberg gewesen war und das dortige Schloss ihn fasziniert hatte. Es entstand der Wunsch etwas über die Geschichte Deutschlands zu erfahren. Da konkretisierte sich das Projekt eines Besuchs im Haus der Geschichte. Dort werden spezielle Führungen für Geflüchtete angeboten und wir haben dann noch darauf hingewiesen, dass unsere Gruppe säkulare religionsfreie Geflüchtete sind, die aus religiösen Gründen aus ihrem Heimaltland fliehen mussten. Sie wollten mehr über die Säkularisation erfahren.
Hier möchte ich darauf hinweisen, dass Mohammed Al-Shammari, der im März als Flüchtling anerkannt worden ist, auch dabei war. Er will weiter in der Gruppe aktiv bleiben, dies hat uns sehr gefreut, denn er bringt Zuversicht in die Gruppe.
Wir hatten eine sehr gute Museumsführerin, jemanden der ein sehr breit gefächertes Wissen hatte und sie konnte ihr Wissen auch sehr gut und sachlich vermitteln. Die Gruppe war schon erstaunt zu hören, dass es auch in Deutschland Religionskriege gegeben hat, dass manche Regionen nur katholisch waren oder nur evangelisch und die Konfession des Fürsten maßgebend war. Interessant war für sie, dass früher das soziale Leben nur im Kreise der Religionsgemeinschaft stattfand und dass oft drei Gesellschaften parallel nebeneinander lebten, die katholische, die evangelische und die jüdische.
Die Revolutionen in Deutschland folgten meist Impulsen aus Frankreich. Die dadurch erzielten Zugeständnisse an die Bevölkerung wurden später wieder zurückgenommen. Es gab Fortschritte und Rückschritte.
Dass wir den säkularen Staat von heute haben, den sie sich in ihrer Heimat wünschen würden, ist uns nicht auf dem Silber-Tablett geschenkt worden, sondern es gab viele Kämpfe. Ihnen wurde bewusst, dass dieser Kampf über Jahrhunderte ging. Napoleon hat ein liberales Rechtssystem für alle Bürger mit dem „Code Napoleon“ oder „Code civil“ nach Baden-Württemberg gebracht. Das hat die Religionsfreiheit mit beinhaltet, die auch 1806 mit dem Erlass des Religionsedikts (1806) und die damit in Gang gesetzte Errichtung einer eigenen Stuttgarter Stadtpfarrei den Weg zu der privaten Religionsausübung in Stuttgart ermöglicht hat. Die Religionsfreiheit zu dieser Zeit hat erlaubt, seine Religion frei zu wählen. Keine Religion anzugeben, war wahrscheinlich erst möglich, nachdem die Personenstandsregister nicht mehr von den Kirchen, sondern von staatlichen Standesämtern geführt wurden.
Seit der Weimarer Reichsverfassung 1919 gibt es in Deutschland keine Staatskirche mehr und der Weg in die Demokratie wurde beschritten. Die Demokratie war jedoch nicht stabil und die Menschen hatten nach dem 1. Weltkrieg eine schwierige wirtschaftliche Zeit – das hat zur Machtübernahme durch eine rechtspopulistische Partei – den Nazis – geführt. Die Demokratie wurde ausgehöhlt, die KPD verboten, die Juden wurden für alles Schlechte verantwortlich gemacht und die Judenverfolgung entwickelte sich Schritt für Schritt.
Die Gruppe war auch sehr interessiert an dem Kampf der Befreiung der Frauen, an der Gleichstellung von Mann und Frau, denn auch dies ist sehr durch die Religion beeinflusst und da wir zwei junge Iranerinnen in der Gruppe haben, wurden da viele Fragen gestellt.
Die Führung sollte eine Stunde dauern, wurde aber mit dem Einverständnis von allen Teilnehmern um 30 min. verlängert. Die Gruppe war unisono begeistert von der Führung, manches hatten sie im deutsch- oder im Integrationskurs gehört, aber hier in der Ausstellung war es viel prägnanter.
Anschließend sind wir noch zusammen etwas trinken gegangen und es wurde noch intensiv diskutiert, ich denke dieser Ausflug wird sie noch lange beschäftigen, sie alle sind nach Deutschland geflüchtet, weil sie immer gehört oder gelesen haben, dass Deutschland sehr tolerant im Hinblick auf Religion ist, aber wie es dazu kam, wurde ihnen nie erklärt. Ich denke, dieses Wissen macht sie stärker, wenn es zu Diskussionen über ihre säkulare Einstellung kommt.
Wir werden solch einen Ausflug bestimmt wieder durchführen. Es hat jedem Einzelnen das Gefühl gegeben, dass er einer „Community“ angehört.