Lebensgefährlich: Atheismus im Iran

Reza Ebrahimi Mehr

Ich bin 35 Jahre alt, lebte in Babol im Iran und bin in einer mittelreligiösen Familie aufgewachsen. Als ich älter wurde, kamen mir viele Fragen über die Religion in den Sinn, besonders über den Islam, der in meiner Familie üblich war.

Als ich in der Khajeh Nasirodin Toosi Universität (K. N. Toosi) mein Studium begann, traf ich viele andere die wie ich den Islam kritisierten. Als das Internet und die sozialen Medien zugänglicher wurden, konnte ich mehr Recherche zu grundlegenden und kritischen Fragen zum Thema Religion betreiben. Das war der Punkt, an dem ich verstanden habe, dass der Islam so kostruiert ist um Menschen zu kontrollieren und zu beherrschen und keine Antwort auf grundlegende Fragen hat. In meinem Land gibt es zwei Arten von Atheisten:

  1. ein Nicht-Muslim, der zum Muslim wurde und nach einer gewissen Zeit wieder zum Nicht-Muslim wurde, was als Staatsabtrünniger bezeichnet wird.
  2. von muslimischen Eltern geboren wurde, dann ein Nicht-Muslim wurde, was als intrinsischer Apostat bezeichnet wird. Natürlich werden im Iran die meisten Atheisten als Teil dieser Gruppe betrachtet.

Wenn das Regime beschließt, diese Gruppe zu bestrafen, gibt es verschiedene Arten der Bestrafung. In der Regel gibt es bei Schiiten neben der Hinrichtung noch andere Strafen, wie z. B. die Trennung vom Ehepartner oder die Aufteilung des Eigentums zwischen den Erben. Wobei im Iran die einzige Strafe für den Abfall vom Glauben meist der Tod ist!

Mit der Zeit wurde ich immer sicherer, dass der Islam nichts als Aberglaube ist. Als studierter Professor habe ich an verschiedenen Universitäten gelehrt. Ich habe an den Universitäten immer über den Islam und das iranische Regime diskutiert, um die Studenten zu kritischem Denken anzuregen. Ich konnte nicht offen sagen, dass ich Atheist bin, da dies mein Todesurteil bedeutet hätte. Aber ich konnte Anregungen geben und damit den jungen Leuten die Möglichkeit zu geben, den Islam und das islamische Regime selbst zu kritisieren.

Mit der Zeit spürte ich immer mehr Druck vom Universitätspersonal, nicht über das Regime und die Religion zu sprechen. Mehrmals haben mich die Vertreter der Universität gewarnt, ich solle aufhören, über das Regime und den Islam zu sprechen. Man sagte mir, dass ich an islamischen Zeremonien wie dem Gemeindegebet teilnehmen müsse, was ich ablehnte.

Daraufhin wurde ich im Januar 2018 während eines großen Protestes gegen die Inflation und die Regierungspolitik, welche im ganzen Iran stattfanden, verhaftet. Einige Sicherheitsbeamte der Sepah (in Zivil, lebas shakhsi) stürmten in ein Café, in dem ich und meine Studenten und Freunde über den Protest diskutierten. Sie verhafteten uns und brachten uns in einem Lieferwagen in einen unbekannten unterirdischen Keller und begannen uns körperlich mit Schlagstöcken zu Misshandeln. Sie zwangen mich zu gestehen, dass ich mit der Sicherheitsorganisation eines anderen Landes zusammenarbeite und ein Spion sei.

Obwohl sie ohne Probleme jede Person hinrichten können, die abtrünnig wird, so erzwingen sie lieber ein Geständnis, um zu zeigen, dass der Grund der Hinrichtung nicht nur die Abtrünnigkeit ist, sondern auch auf subversiven Aktivitäten beruht. Sie möchten damit atheistische Überzeugungen mit der Politik und den staatsfeindlichen Aktivitäten in Verbindung bringen. Auf der anderen Seite wollen sie sich selbst gut darstellen, damit sie ein positivens Bild abgeben und um damit die Zustimmung der Öffentlichkeit zu haben.

„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen“ (Bezug: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Artikel 18). Trotz dieses Artikels müssen Sie mit dem Tod rechnen, wenn Ihr Glaube gegen das iranische Regime ist, egal wo Sie leben. Muslime und auch das iranische Regime glauben, dass jeder Abtrünnige sterben muss.

Nach der Verhaftung haben sie mir nie erlaubt, an Universitäten wie der Universität von Mazandaran und der Babol Nooshirvani Uni zu lehren, die die bekanntesten Universitäten waren, an denen ich unterrichtet habe. Außerdem haben sie mir meine Lizenz in der Organisation für Bauwesen entzogen. Sie haben mich boykottiert, in irgendeiner Organisation zu arbeiten und haben mir verboten, eine Geschäftslizenz zu bekommen. Wenn das islamische Regime spürt, dass jemand den Islam kritisiert, beginnen sie, ihm alles zu nehmen, wofür er sich bisher eingesetzt hat. Inzwischen haben sie mich gezwungen, den Kurs zu besuchen, in dem es um die Anleitung zum Islam ging, um meinen Weg zu Gott zu finden!!! Kann sich jemand vorstellen, wie es sich anfühlt, gezwungen zu werden, an eine andere Religion zu glauben? Es war wirklich ärgerlich, Glaubensrichtungen zu lernen, an die man nicht glaubt. Solange sie sich entscheiden, dich nicht zu töten, foltern sie dich psychisch, um dich zu zwingen, mit dem Denken und Kritisieren aufzuhören, um dich zum Islam zurückzuführen. Das ist es, was ich erlebt habe. Irgendwie wollten sie, dass ich das Leben abbreche. Das Leben anderer und Freiheit und Menschenrechte haben für sie keine Bedeutung. Was für sie zählt, sind der Islam und die Staatsführung. Sie ruinieren Leben und Familien wie ein Stück Kuchen. Es ist ihnen egal, was Demokratie und Gedankenfreiheit ist, sie müssen bleiben und andere auf jede mögliche Weise regieren.

Während eines Jahres hatten sie ein Auge auf mich und meine Frau geworfen und begannen, uns auf verschiedene Weise zu bedrohen: Sie hinterließen eine Drohbotschaft auf einem Papier, beschädigten das Auto, außerdem setzten sie mich unter Druck, indem sie die Fotos meiner Frau benutzten, um mich zu entehren.

Als ich in die Türkei geflohen bin, habe ich bemerkt, dass sie einen meiner ehemaligen Schüler verhaftet haben und niemand wusste, was mit ihm passiert war. Jetzt lebe ich in Deutschland und der Antrag auf Asyl wird abgelehnt. Ich tue mein Bestes, um in den sozialen Medien zu zeigen, dass das Regime der Islamischen Republik Iran im Widerspruch zur Menschlichkeit und Gerechtigkeit steht.