Der Fall Mai Abdallah

Gastbeitrag von M. G.

Dass Anders- und Nichtgläubige in Ägypten einen schweren Stand haben, ist hinlänglich bekannt. Wie eng der Spielraum des Sagbaren ist und wie schnell eine religionskritische Aussage zum nationalen Skandal werden kann, zeigte zu Beginn des Jahres der Fall der Studentin Mai Abdallah, die im Februar auf Facebook eine islamkritische Äußerung veröffentlichte.

„Ich glaube an Gott, aber nicht an Mohammed. Und wenn Mohammed derjenige ist, der mich ins Paradies der Unzucht und des Alkohols einlässt, dann will ich nicht hinein. Als Frau wäre ich ohnehin zögerlich, euer Paradies zu betreten. Und das Kopftuch trage ich nur, weil die rückständige Gesellschaft mich dazu zwingt.“

So der (frei übersetzte) Wortlaut ihres Beitrags bei Facebook. Ihre Erwähnung der „rückständigen Gesellschaft“ legt nahe, dass sie sich der provokativen Sprengkraft ihrer Worte gerade in Ägypten bewusst gewesen sein muss. Dennoch dürfte sie kaum mit der Dynamik gerechnet haben, die sich anschließend entfaltete. Obwohl der Beitrag nur für diejenigen sichtbar war, die auf Facebook direkt mit ihr befreundet sind, fühlte sich ein wohl besonders frommer Kommilitone berufen, Screenshots des Beitrags auch außerhalb ihres Bekanntenkreises zu verbreiten.

Die Strafbarkeit des Gesagten unterliegt dabei einigermaßen nebulösen gesetzlichen Formulierungen. Die ägyptische Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion, erwähnt allerdings auch das Christentum und das Judentum als von Ägyptern praktizierbare Religionen (Artikel 2 und 3). Gemeinhin werden diese drei Religionen ─ ausgenommen einige unliebsame Denominationen wie schiitische Muslime ─ in offiziellen Texten als „himmlische Religionen“ bezeichnet. Auf ebendiese bezieht sich dann auch Artikel 98 des ägyptischen Strafgesetzbuchs, in dem es unter anderem heißt, dass das „Verachten und Geringschätzen einer der himmlischen Religionen“ mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren, oder einer Geldstrafe von 500 bis 1000 Pfund zu belegen sei. 

Zwar wirkt eine Geldstrafe in dieser Höhe nach langen Jahren des Wertverfalls der ägyptischen Währung nicht mehr sonderlich einschüchternd, doch behelfen sich ägyptische Gerichte häufig mit anderen Rechts- und Gesetzeskonstellationen zu deutlich höheren Summen in Blasphemieurteilen. Dennoch stellt die Aussicht auf eine Inhaftierung in den berüchtigten ägyptischen Gefängnissen offensichtlich die erheblichere Bedrohung dar. Obwohl die Gesamtanzahl an erfassten Blasphemieverfahren sich jährlich im niedrigen zweitstelligen Bereich bewegt, sind dabei auch hohe Gefängnisstrafen keine Seltenheit.

Die geringe Anzahl an Verfahren darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in einer zur gegenseitigen Zensur oft nur allzu willigen Gesellschaft, in der religiöse Vigilanten häufig sogar die moralische Hoheit für sich beanspruchen dürfen, zumeist keiner staatlichen Intervention bedarf, um Andersdenkende mundtot zu machen. Ebendies zeigte sich auch bei Mai Abdallah, die in den Tagen nach ihrem Beitrag Opfer einer Hexenjagd von erheblicher Zerstörungskraft wurde. 

Bald kursierten Listen, in denen nicht nur die Telefonnummer und andere private Daten der „Apostatin“ zu finden waren, sondern ebenfalls die ihrer unmittelbaren Angehörigen. Diese entstanden unter maßgeblicher Mitwirkung von Gruppen auf der Plattform Telegram, die sich gezielt der Offenlegung der persönlichen Daten von „Ungläubigen“ verschrieben haben. Einher ging diese diesmal mit dem Aufruf, man möge sich in möglichst großer Zahl an die Universität Sinai wenden, wo Abdallah im ersten Jahr an der Fakultät für Zahnmedizin studierte.

Die Uni reagierte binnen kürzester Zeit und verkündete, unverzüglich eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Blasphemie einzuleiten. Kurz darauf wurde Abdallah eigenen Aussagen zufolge vom ägyptischen Inlandsgeheimdienst einbestellt. Von diesem Tag stammt ihr bislang letzter bekannter Beitrag in sozialen Netzwerken, wo sie im Anschluss verkündete, das Gesetz auf ihrer Seite zu haben und sich keine Sorgen zu machen.

An dieser Stelle verliert sich die digitale Spur der Geschichte. Ihre Konten in sozialen Netzwerken sind gesperrt, und weder über den Ausgang der universitären Untersuchung, noch über juristische Konsequenzen wurde im Anschluss berichtet. Selbst ohne irgendeine Form staatlicher Intervention wird der entstandene Schaden aber nicht nur für Mai Abdallah selbst, sondern auch für ihre Familie erheblich sein. Und all das wegen einer einzigen religionskritischen Äußerung im Internet.