Ich möchte mich gerne vorstellen: Mein Name ist Karrar Al Asfoor und ich wurde in eine streng muslimische Familie im Irak geboren. Selbstliebe wurde von meiner Familie als etwas grundsätzlich Böses angesehen, was sich in unserem täglichen Leben manifestierte. Schon in jungen Jahren wurde mir eingebläut, dass es meine Pflicht sei, „Gott“, religiöse Autoritäten, die Gesellschaft und alle anderen zufrieden zu stellen, mich selbst aber als schuldigen Sünder zu verachten. Es fühlte sich an wie ein endloser Wettlauf des Selbsthasses.
Nach einer Phase der tiefen Selbstreflexion erlebte ich eine existenzielle Krise, die mich dazu brachte, mich dem Atheismus zuzuwenden. Es war ein entscheidender Moment, als mir klar wurde, wie sehr meine Kindheit vom Islam überschattet war und welche Kontrolle er bis zu diesem Zeitpunkt auf mich ausgeübt hatte.
Diese Erkenntnis trieb mich dazu an, mich auf sozialen Medien für die Rechte von Atheisten, Frauen und der LGBT+-Gemeinschaft einzusetzen. Das blieb nicht unbemerkt: Islamische Milizen spürten mich auf und bedrohten mich mit dem Tode. Letztendlich blieb mir keine andere Wahl, als mein Heimatland zu verlassen.
Nach langer Reise kam ich schließlich in Deutschland an und wurde im Emsland untergebracht.
Während dieser Zeit setzte ich meinen Aktivismus in den sozialen Medien fort, bis ich im Jahr 2022 eine schwere Depression entwickelte. Die tägliche Konfrontation mit Nachrichten über islamische Unterdrückung gegenüber progressiven Stimmen, gepaart mit dem anhaltenden Trauma einer verlorenen Kindheit, toxischen Gedanken und sozialer Isolation in einem neuen Land machten mir klar, dass ich mein Leben von Grund auf neu aufbauen musste.
Als ich nach psychiatrischen Angeboten in der Stadt gesucht hatte, entdeckte ich, dass es nur ein verfügbares Krankenhaus in meiner Region gibt. Ich nahm sofort Kontakt auf und wenig später stellte sich mir ein arabischsprechender Arzt mit den Worten „Al-salam-u Alaikum“ vor. Nach einem kurzen Austausch am Telefon vertagte ich das Gespräch, denn der muslimische Gruß hatte mich verunsichert.
Also ging ich erneut in die Klinik und erklärte, meine Bedenken. Ich fragte, ob der Arzt Muslim sei, die Rezeptionistin Frau V. antwortete mit „ja“ und wollte wissen, wieso das eine Rolle spiele. Ich erklärte, dass es mir wichtig sei, einen neutralen Arzt in Bezug auf den Islam zu haben. Religion ist mit meiner persönlichen Geschichte verwoben und ich fühle mich unwohl dabei, negative Erfahrungen über den Islam mit einem muslimischen Arzt zu teilen.
Es begann eine Flut von Erklärungen, mit dem Ziel mich vom guten Charakter des Arztes zu überzeugen. Als ich endlich zu Wort kam, erklärte ich, dass ich aus Gründen meines eigenen Wohlbefindens nicht in der Lage bin, mich einem muslimischen Arzt anzuvertrauen und meine negativen Erfahrungen mit dem Islam zu besprechen.
Außerdem weiß ich aus der Erfahrung anderer Ex-Muslime, dass muslimische Psychiater oft mit dem therapeutischen Ansatz arbeiten, ihre Patienten wieder zurück zu Allah bringen zu wollen.
An diesem Punkt beendete Frau V. Das Gespräch mit den Worten „Dieser Arzt ist Ihre einzige Option im gesamten Emsland, entweder akzeptieren Sie oder Sie sind auf sich allein gestellt.
Schockiert verließ ich die Klinik und bat die säkulare Flüchtlingshilfe um Unterstützung. Eine Mitarbeiterin reichte daraufhin über die Website des Krankenhauses eine Beschwerde ein, zu der bis heute nicht Stellung genommen wurde und ein weiterer Mitarbeiter nahm über eine andere Abteilung noch einmal Kontakt zur Klinik auf.
Der Krankenhaus-Mitarbeiter Herr L. zeigte mehr Verständnis für meine besondere Situation und versprach zu helfen. Ich sollte mich direkt an ihn wenden, also ging ich gleich am nächsten Tag zurück in die Klinik.
Ich stellte mich vor und erwähnte das Telefongespräch mit dem Flüchtlingshelfer am Tag zuvor. Nach ein paar Fragen und einem Anruf sollte ich das Zimmer wieder verlassen und auf den Arzt warten. Während die Tür geschlossen wurde, fragte ich noch, wie der Arzt hieße, woraufhin Herr L. mir den Namen des Arztes nannte, der mir schon bei meiner ersten Begegnung in der Klinik zugewiesen wurde.
Der Mitarbeiter, der bestens über meine Situation informiert war und versichert hatte, diese zu berücksichtigen, hatte mich hintergangen.
Sofort verließ ich die Klinik, ich hatte keine Lust, wieder nicht ernst genommen und mit erneuten Vorwürfen und Überzeugungsversuchen konfrontiert zu werden.
Nachdem ich dem Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe erzählt hatte, was passiert war, rief dieser noch einmal in der Klinik an, wo der wütende Herr L. ihm mitteilte, jemand wie ich (der so unverschämt ist, einfach zu verschwinden) sei in Zukunft in diesem Krankenhaus nicht mehr willkommen.
Eine Person, die in eine Falle gelockt wurde, wird sich nachvollziehbarerweise so schnell wie möglich aus der Situation entfernen.
Das gilt umso mehr für jemanden, der aufgrund traumatischer Erfahrungen Hilfe benötigt. Mir medizinische Versorgung zu verweigern, nur weil ich einer solchen Situation aus dem Weg gehen wollte, stellt eine völlig neue Form des victim-blamings dar.
Und trotzdem ist mir so ein Verhalten nicht neu. Minderheiten, die nicht in die für sie vorgesehene Schublade (Araber = Muslim) passen, werden von linker Seite oft mit Skepsis betrachtet.
In meiner Zeit in Griechenland kam ich in Kontakt mit einer Hilfsorganisation, die regelmäßig Veranstaltungen organisierte, bei denen Flüchtlinge bei öffentlichen Versammlungen sprechen konnten. Ich nahm als Redner teil und nutzte die Gelegenheit, den Islam zu kritisieren und über die Ex-Muslim-Bewegung in islamischen Ländern zu sprechen. Nach der Veranstaltung erhielt ich jedoch keine Aufnahme davon und jedes Mal, wenn ich danach fragte, behaupteten sie, dass sie immer noch an der Bearbeitung wären. Es sind nun fünf Jahre vergangen und angeblich bearbeiten sie die Aufnahme noch immer.
Ich möchte zum Schluss noch etwas klarstellen und ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland das sehr ungern hören: Ich bin ein arabischer Ex-Muslim, der keine Lust mehr auf den Islam hat und ich bin nicht allein.
Es gibt immer mehr von uns und wir sind keine Rassisten, nur weil wir auf Missstände aufmerksam machen oder weil wir einen nicht-muslimischen Therapeuten brauchen. Viele von uns haben schlimme physische und psychische Gewalt erlebt, weil wir selbst entscheiden wollen, wer wir sind und was wir glauben und für viele von uns war es ein Schock, als wir bemerkt haben, dass dieses Recht auch hier in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist. Wir werden weiter dafür kämpfen müssen.