Anders als die Gemeinde zwang Minas Familie sie nicht zu religiösen Überzeugungen. Aber sie diskutiert mit ihren Mitmenschen und ihren Verwandten über religiöse Fragen.
Während ihrer Schulzeit hatte sie oft Probleme mit Religionslehrern in Diskussionen über religiöse Geschichten und Urteile, wie die Enthauptung von Ungläubigen, die Mina nicht akzeptierte. Dies führte zur Bestrafung Minas und dazu, dass sich ihre Eltern in der Schule für sie entschuldigen mussten. Jahre später, während ihrer Arbeitszeit, wurde sie trotz der Zustimmung einiger ihrer Kollegen von anderen eher islamistischen Kollegen bedroht. Wenn sie so weitermache, würden ihre Worte den Strafverfolgungsbeamten gemeldet. Sie erkannte, dass sie nirgendwo das Recht hatte, religiöse Urteile zu kritisieren und die Rechte von Frauen zu verteidigen.
Diese Fälle und ihre wiederholten Verhaftungen wegen Verstoßes gegen den obligatorischen Hijab führten Mina in eine Sackgasse, denn die Quelle dieser irrationalen Gesetze war das islamische Recht.
Mina begann, sich über den Islamismus und die Verletzung von Frauenrechten zu erkundigen.
Sie recherchierte im Internet und sah, dass Gruppen von Leuten – dafür und dagegen – solche Themen diskutierten. Sie stellte fest, dass viele Frauen solche Sorgen hatten wie sie, mit der Ausnahme, dass einige es nicht einmal wagten, sie überhaupt in der Familie zu äußern. Islamisten betrachteten ihre Verbrechen und ihr unmenschliches Verhalten trotz ihrer Ablehnung der Menschenrechte als natürlich und den Regeln des Islam gehorsam. Zum Beispiel wird die Kinderehe aus islamischer Sicht als legal angesehen. Solche Probleme verstärkten Minas Hass auf den Islam, den Hijab und Fälle von Islamismus.
Charaktere wie Ahmad Kasravi, Shojaeddin Shafa, Yuval Noah Harari und Richard Dawkins spielten eine wichtige Rolle für die Ausprägung Minas atheistischer Tendenzen.
Recherchen führten sie zu einer atheistischen Gruppe auf Telegram. Ihre Aktivitäten in dieser Gruppe setzte Mina später als eine der Admins fort. Sie wusste, dass die Teilnahme an solchen Gruppen in ihrem Heimatland sehr gefährlich war. Denn die Aktivitäten der Personen konnten von den Sicherheitskräften im Telegram-Netzwerk nachverfolgt werden. Wichtiger war ihr aber, Fälle aufzudecken, in denen die Islamische Republik Iran Menschenrechte verletzt. Der Einfluss des Telegram-Netzwerks unter iranischen Nutzern ist so groß, dass der neue Amadnews -Kanal (verwaltet von Ruhollah Zam) trotz umfangreicher Filterung innerhalb von 24 Stunden 700.000 Nutzer anzog.
Aktivitäten im Internet waren für Mina faszinierend, weil die Kritiken und Aktionen, die in der realen Welt des Iran undenkbar waren, hier möglich wurden, wenn auch weiterhin gefährlich. Sie betrachtete sich als Schöpferin einer Bewegung und bemerkte spürbare Veränderungen in der Denkweise vieler Nutzer, die für gewisse Trends sensibilisiert wurden. Trends wie den Anstieg der Anzahl von Kinderehen, der Anzahl von Hinrichtungen im Iran und die ständigen Verletzungen der Religionsfreiheit.
Während einer Deutschlandreise mit ihrem Mann erfuhren sie, dass ihre Wohnung durchsucht worden war und dass sie bei ihrer Rückkehr in eine Falle laufen könnten. Wohnungsdurchsuchungen durch Sicherheitskräfte und die Beschlagnahmung elektronischer Geräte vor einer Anklageerhebung ohne Durchsuchungsbefehl kommen weitaus häufiger vor, als die Medien davon berichten.
Obwohl das Leben in Deutschland, einem sicheren Land, das Menschenrechte respektiert, natürlich viel freier ist als im Iran, muss man angesichts der großen muslimischen Bevölkerung in Flüchtlingseinrichtungen sagen, dass es für Atheisten nicht wirklich sicher ist. Die eigene Meinung außerhalb des Iran frei zu äußern, kann weiterhin gefährlich sein, wie die Ermordung von Arsalan Rezaei durch iranische Sicherheitsagenten in der Türkei zeigt.
In einem neuen Dokument, das vom Bundesinnenministerium im Juni 2019 zu Neuankömmlingen vorgelegt wurde, werden iranische Staatsangehörige „ohne Bleibeperspektive“ beurteilt. Darin wird ihnen der Zugang zum staatlichen Deutschunterricht verwehrt. Die Ablehnung, keinen Sprachkurs besuchen zu dürfen, war für Mina allerdings nicht nur enttäuschend, sondern auch Ansporn, persönlich Deutsch zu lernen, den Führerschein zu machen und ein Praktikum als Kindergärtnerin zu absolvieren.
Mangels angemessenen Internetzugangs in Flüchtlingseinrichtungen schränkte Mina ihre atheistischen Aktivitäten zeitweise ein. Nachdem sie jedoch in eine geeignetere Einrichtung umgezogen war, begann sie ihre Tätigkeit bei der Säkularen Flüchtlingshilfe e.V.
Obwohl das Internet die Meinungsfreiheit erleichtert hat, werden Mina und ihre Mitstreiter auf Social Media Plattformen wie Clubhouse weiterhin von Islamisten bedroht.
Momentan beschäftigt sich Mina mit Themen wie der Verleumdung iranischer
Sicherheitsgefangener, dem Bedrohen und Töten politischer Häftlinge – wie Alireza Shir Mohammad Ali – in iranischen Gefängnissen und der Verurteilung von Telegram-Channel-Admins ohne Recht auf Verteidigung im Gerichtsverfahren.